Exposé | Storyline zum Film YOL von Yılmaz Güney

Yılmaz Güney schrieb diese Zusammenfassung im Februar 1982 im Exil in Frankreich – ein Jahr nach den Dreharbeiten. Wir brauchten den Text für unsere Pressearbeit im Vorfeld der Filmfestspiele in Cannes.

Im März 1982, zwei Monate vor der Uraufführung,  wurden wir vom Festivaldirektor Gilles Jacob mit fadenscheinigen Argumenten angehalten, die 147 Minuten Fassung von YOL auf weniger als 2 Stunden zusammen zu kürzen.

Um den aus der Türkei geflohenen Volkshelden und Filmemacher Yılmaz Güney auch im Westen bekannt zu machen und ihm einen Neustart als Künstler im Exil  zu ermöglichen, musste YOL 1982 in Cannes laufen. Unter großem Zeitdruck schnitten wir den Süleyman-Strang und die Hälfte der Yusuf-Geschichte heraus.

Nach dem Festival wollten wir in Ruhe und mit neuer Kraft den Film in Bild und Ton fertigstellen. Aber wir gewannen die goldene Palme. Die Nachfrage nach YOL überrollte uns. Wir hatten uns mit der Flucht, der Ferstigstellung von YOL und den Ausgaben für das Festival in Cannes finanziell verausgabt. Yılmaz brauchte Geld für sein Leben und seine politische Arbeit. Daher waren wir gezwungen, diese unschöne und unfertige Fassung in alle Welt zu verkaufen.

Es dauerte 35 Jahre bis wir unser damaliges Vorhaben und das Versprechen, das Donat Keusch dem kranken Yılmaz Güney gegeben hatte, wahr machen konnten: 2017 erschien die restaurierte, vollständige Fassung  YOL – The Full Version.

 

 

Gekürzte, deutsche Übersetzung

Sechs türkische Häftlinge aus verschiedenen sozialen Schichten erhalten einen einwöchigen Heimurlaub. Jeder hat seine eigenen Probleme, Sorgen und Sehnsüchte. Ihre Reisen führen sie in unterschiedliche Regionen und Städte der Türkei. *

Süleyman ist ein Trinker, Spieler und Hurenbock, der sich für niemanden interessiert, außer für sich selbst. Während seiner gesamten Heimreise trinkt er, bis er bei seiner Ankunft in Adana kaum noch stehen kann…

Yusuf ist ein naiver, junger Mann aus Gaziantep, dem verschwiegen wurde, dass seine Frau während seiner Gefangenschaft tödlich verunglückt ist. Voller Hoffnung und Sehnsucht zieht er in den Urlaub, um ihr einen Kanarienvogel samt Käfig zu schenken. Er verliert seinen Urlaubschein und kommt nicht weit…

Mevlüt ist ein konservativer junger Mann und Landsmann von Yusuf. Er leidet unter den feudalistischen Familienverhältnissen und wird diese in der eigenen Familie beibehalten, was er seiner Verlobten überzeugend klar macht…

Ömer ist ein junger, schweigsamer Kurde aus einem Dorf südlich von Birecik an der syrischen Grenze. Er liebt die Natur und das Reiten. Sein Bruder wird beim Schmuggeln getötet. Er tritt in dessen Fußstapfen, wird dessen Frau heiraten und dazu vier Kinder “erben“, und nicht ins Gefängnis zurückkehren…

Mehmet Salih sitzt wegen Fahrdiensten bei einem bewaffneten Überfall im Gefängnis. Er war aus Feigheit geflohen, während sein Schwager von der Polizei erschossen wurde. Nun plagen ihn Schuldgefühle und die Frage, ob er seiner Frau und ihrer Familie die Wahrheit sagen oder lügen soll. Er fährt nach Adana, um einen Freund um Rat zu bitten, dann sagt er in Diyarbakır die Wahrheit und wird zum tragischen Helden…

Seyit Ali ist ebenfalls ein verheirateter Kurde und hat einen Sohn. Sein Denken und Handeln wird von überlieferten Feudalstrukturen bestimmt. Er weiß auf seinem Weg nach Konya noch nicht, dass seine Frau von zu Hause weggelaufen und ihm untreu geworden war. Ihre Brüder hatten sie zurückgeholt und eingesperrt. Sie erwarten nun von Seyit, dass er die Befleckte bestraft und die Familienehre wieder herstellt…

Die sechs Gefangenen auf Urlaub sind mit dem gleichen Bus unterwegs. Als Erster steigt Seyit Ali in Konya aus. Es ist Mitternacht und Ausgangssperre, weshalb er in der Busstation mit anderen Reisenden bis zum Morgen warten muss. Ohne Erfolg versucht er, seine Lage der Polizei zu erklären. Am Morgen eilt er zu sich nach Hause, wo ihm von seiner Mutter die Wahrheit über seine Frau erzählt wird. Seine Ehre und die der Familien ist zutiefst beschmutzt, weshalb er nun zu ihr fahren muss, um sie zu bestrafen…

Süleyman steigt betrunken aus dem Bus und geht zur Erfrischung in die Sauna, bevor er zu seiner Familie zurückkehrt…

Mehmet Salih findet seinen Freund, den er um Rat bitten will, bettlägerig vor. Er wurde von Faschisten überfallen. Mehmet Salih erzählt zögerlich den wahren Ablauf des Überfalls: Er hat aus Angst seinen Schwager im Stich gelassen. Sein Freund rät ihm, dazu zu stehen. Mehmet Sali entschließt sich, seiner Frau die Wahrheit zu sagen und eilt zum Zug nach Diyarbakır…

Yusuf, Mevlüt und Ömer reisen im Bus nach Gaziantep und Urfa. Bei einer Buskontrolle auf offener Landstraße wird Yusuf verhaftet, weil er seinen Urlaubsschein verloren hat. Die Unterstützung durch die beiden Kollegen nützt nichts. Er bittet Freund Mevlüt, seiner Frau den Kanarienvogel zu geben…

In Gaziantep steigt Mevlüt mit dem Kanarienvogel aus…

Ömer fährt weiter in seine kurdische Heimatregion. Er küsst den Boden und erinnert sich, wie er mit seinem Bruder im Galopp frei über die Wiesen ritt. In seinem Heimatdorf hat die Polizei ein Haus mit Schmugglern umstellt. Die ergeben sich und werden abgeführt. Die Nacht verbringt Ömer im Haus seines Vaters, während draußen der Kampf zwischen Polizei und Schmugglern erneut eskaliert. Am Morgen werden die Getöteten ins Dorf gebracht, darunter auch Ömers Bruder. Aus Angst vor der Polizei bekennt sich niemand zu den Toten. Nun “erbt“ Ömer die Frau und die vier Kinder seines Bruders. Er übernimmt dessen Platz bei den Schmugglern und geht nicht zurück ins Gefängnis.

Mevlüt darf bei sich zuhause nicht mit seiner Verlobten in Ruhe reden. Die Beiden werden ständig beaufsichtigt. Mevlüt regt das auf, er betrinkt sich und geht in ein billiges Bordell.

Yusuf ist auf der Polizeiwache eingesperrt und verbringt hier seine ersehnten Urlaubstage. Selbst seine Eltern, die ihn besuchen kommen, verschweigen ihm aus Feigheit, dass seine Frau gestorben ist.

Süleyman kommt erschöpft von seiner Sauferei und der Sauna nach Hause. Als ihm seine Frau ihre Meinung sagt, schlägt er sie und haut ab. Er treibt sich in Bars, Spielkasinos und mit teuren Prostituierten herum, während seine schöne Frau sehnsüchtig und der gedeckte Tisch auf ihn warten.

Seyit Ali verbringt einen weiteren Tag im Zug. Dort trifft er zufällig auf Mehmet Salih. Seyit kann nicht schlafen und erzählt Mehmet, dass seine Frau aus Konya abgehauen ist und er nun nach Sancak muss, um sie zu töten. Er ist hin- und hergerissen zwischen Vergebung und Rache…

Mehmet Sali verabschiedet sich von Seyit Ali in Diyarbakır. Dort wird er von der Familie seiner Frau voller Aggressivität empfangen. Er gesteht ihnen und seiner Frau die Wahrheit. Das Familienoberhaupt bietet Mehmet an, seine Kinder und seine Frau mitzunehmen. Sie gehört dann aber nicht mehr zu ihrer Familie und verliert deren Schutz. Sie haut mit den Kindern ab und als diese im Zug eingeschlafen sind, wollen Mehmet und seine Frau in der Toilette Liebe machen. Sie werden von einer wütenden Meute unterbrochen und geschlagen. Der Schaffner nimmt sie in Gewahrsam und lässt wegen ihrer Kinder Nachsicht walten. Doch Mehmets Neffe ist ihnen in den Zug gefolgt und erschießt ihn und seine Frau. Die beiden Kinder bleiben alleine zurück.

Seyit Ali kommt im verschneiten Sancak bei seinem Schwager Şevket an, der ihm eine Waffe gibt. Auf dem Weg zum abgelegenen Hof, wo seine Frau und sein Sohn sind, läuft man Gefahr zu erfrieren. Seyit kämpft sich auf einem Pferd durch den tiefen Schnee. Nachdem das Pferd zusammengebrochen ist, erschießt er es. Halb erfroren erreicht er das Haus seines Schwagers Cinde. Er und ihr Vater halten Seyits Frau seit acht Monaten im Stall gefangen. Er beschließt, sie und seinen Sohn zurück zu Şevket nach Sancak zu bringen. Am nächsten Tag machen sich die warm gewandeten Seyit und sein Sohn mit der zu dünn gekleideten Frau den Weg. Nach einiger Zeit kann sie nicht mehr und schreit um Hilfe. Seyit kehrt um und sieht, dass seine Frau kurz vorm Erfrieren steht. Er versucht vergebens, sie durch Schläge und Rütteln wach zu halten. Seyit trägt sie bis zur Krankenstation in Sancak, wo ihr Tod festgestellt wird. Voller Reue verabschiedet er sich von seinem Sohn. Fährt er im Zug zurück ins Gefängnis?

Der Hafturlaub, der mit viel Hoffnung und Sehnsucht begonnen hatte, endet im Leid…

Yılmaz Güney

*
KONYA –
452 km südöstlich von İmralı

ADANA – 707 km südöstlich von İmralı

GAZİANTEP – 857 km südöstlich von İmralı

BİRECİK – Kurdistan – 912 km südöstlich von İmralı

DİYARBAKIR – Kurdistan – 1047 km südöstlich von İmralı

SANCAK – Kurdistan 1248 km südöstlich von İmralı