Warum Yılmaz Güney‘s YOL restauriert und vervollständigt werden musste

YOL – The Full Version:
Restaurierung und Fertigstellung des Films YOL  |  Arbeitstitel: BAYRAM
Bericht von Donat Keusch

Gründe für die Restaurierung

Costa-Gavras – Yılmaz Güney – Vittorio Gassmann Cannes 1982 award ceremony

Aufgrund des anhaltenden und verstärkten Interesses an Yılmaz Güney‘s YOL hatte ich mich 2012 nach 30 Jahren endlich daran gemacht, unsere erfolgreichste Filmproduktion zu restaurieren. YOL (Der Weg) hatte 1982 zusammen mit Costa Gavras‘ MISSING in Cannes die Goldene Palme gewonnen. Der Exil-Grieche und der türkische Exil-Kurde haben sich anlässlich der Preisverleihung auf der Bühne des alten Festivalpalais erstmals getroffen und wurden Freunde.

YOL lief in Cannes in einer nicht gerade schönen, unfertigen Fassung. Dies hatte damit zu tun, dass der damalige Festivaldirektor Gilles Jacob den Film nicht wollte. Er hat unter dem Druck von Kulturminister Jack Lang dann im letzten Moment doch noch der Wettbewerbsteilnahme von YOL zugestimmt. Aus vorgeschobenen Programmierungsgründen verlangte er aber, dass Yılmaz Güney‘s YOL nicht mehr als 110 Minuten lang sein durfte.

Gilles Jacobs definitive Liste der Wettbewerbsfilme Cannes 1982 - ohne YOL

Gilles Jacobs definitive Liste der Wettbewerbsfilme Cannes 1982 – ohne YOL

Wahrscheinlich spekulierte Gilles Jacob darauf, dass wir das aus zeitlichen Gründen nicht hinbekommen würden. Um dem Schöpfer von YOL, dem im Herbst 1981 aus der Türkei exilierten Filmemacher Yılmaz Güney, einen Start in Europa zu ermöglichen, mussten wir unbedingt in den Wettbewerb von Cannes.

Wir wollten den Film nach dem Festival endgültig fertigstellen, aber der unerwartete Gewinn der Palme änderte alles. Wir werteten diese unfertige und gekürzte YOL-Fassung weltweit aus. Damals war die Goldene Palme noch ein Gütesiegel. Doch diese YOL-Version entsprach nicht mehr Güney’s Drehbuch BAYRAM und auch nicht dem Montage-Plan von ihm und der Cutterin Elizabeth Waelchli.

Es gelang mir, mit Hilfe der Cutter Tobias Frühmorgen und Peter Adam („Good-Bye, Lenin!“, der director’s cut von Schlöndorff’s „Blechtrommel“ u.v.a.) YOL wieder so zu montieren, dass er Yılmaz Güney’s ursprünglichen Vorgaben entspricht. Dabei haben wir in fast gleicher Länge von 110 Minuten rund 7% mehr Inhalt untergebracht. Wie in Güney’s Drehbuch und Schnittplan wird die Geschichte von Süleyman, der 6. Gefangene auf Urlaub, in der vollständigen Fassung erzählt. Dies gilt auch für jene des jungen Yusuf, dessen Problem nun verständlich ist. Grundsätzlich musste aber die nie zu Ende geführte Montage des Films endlich abgeschlossen werden. Es mussten unsaubere Übergänge von Einstellungen und Szenen korrigiert und überflüssige Längen eliminiert werden. Diese Unsauberkeiten geschahen 1982 wegen des Zeitdrucks, der durch die unglaubliche Forderung des Cannes Filmfestival Direktors entstanden war.

Die Montage-Arbeit wurde während Monaten mit YOL-Material ab DVDs gemacht. Das 1981 ausgemusterte Material (6 Stunden) war auf VHS-Kassetten vorhanden und ist auf DVDs umkopiert worden. – Nach Abschluss der Montage wurden das Originalnegativ sowie die wieder eingefügten Teile aus den Negativresten und etwas AK-Material in 2K digitalisiert und restauriert. Große Teile des Tons mussten neu gemacht werden. Das galt auch für die wieder eingefügten Teile, da der Film stumm gedreht worden ist.

„YOL“ wurde 1982 aus politischen Gründen in einigen Territorien nicht ausgewertet. Auch im türkischen Fernsehen war der Film noch nicht zu sehen. Das Interesse an einem fertiggestellten YOL ist erstaunlich groß sowohl bei Festivals wie auch bei Einkäufern. Dies liegt sicher auch an der gewachsenen Bedeutung der Türkei und der Kurdenfrage. YOL erklärt die Mentalität und Lebensbedingungen der Türken und Kurden besser als jeder andere Film. YOL – The Full Version ist wie Yılmaz Güney’s Drehbuch, Exposé und sein ursprünglicher Montageplan besser, spannender und ansehnlicher als die unfertige 1982er-Cannes-Fassung, die von der Jury auch aus politischen Gründen mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde.

Schrifttafeln mit Städtenamen und das Insert KÜRDISTAN im Film YOL

Bei der ersten Vorführung von YOL in Paris, die für einen deutschen Geldgeber stattfand, fanden sich die Zuschauer geographisch im Film nicht zurecht. Nach längeren Diskussionen konnte Yılmaz überzeugt werden, die Zielorte der 6 Gefangenen jeweils einzublenden. Und wir wollten wissen, wo im Film Kurdistan ist. Yılmaz war erstaunt, weil dies aufgrund von Kleidung und Sprache für ihn klar war. Schließlich stimmte er zu und platzierte das Insert KÜRDISTAN im blauen Himmel. Auf dem „Ü“ im Wort bestand er. Das Wort KÜRDISTAN verhinderte zwar die Auswertung von YOL in der Türkei, aber das störte nicht. Denn nach Yılmaz‘ Flucht wurden seine Filme und insbesondere YOL in der Türkei sowieso verboten.

Als 1993 die erste offizielle Aufführung von YOL in der Türkei erlaubt wurde, verlangte Fatoş Pütün(-Güney), dass dieser Schriftzug rausgeschnitten wird. Ich hatte eine neue 35mm-Filmkopie nach Istanbul mitgebracht und war gegen Zensur. Aber Fatoş bestand darauf. Derer Film hätte andernfalls nicht im großen Sportstadion gezeigt werden können. Also schnitt ich dieses kurze Stück heraus und nahm es mit. Leider hatte ich Vertrauen in Fatoş Pütün und ließ die Filmkopie dort. Sie hat später davon ein 35mm-Negativ hergestellt und den Film illegal und ohne den Schriftzug KÜRDISTAN in der Türkei ausgewertet. Spätestens seit dem Gerichtsurteil vom 27.05.2003 ist klar, dass sie keinerlei Produzenten- und Auswertungsrechte am Film besitzt. Sie hat vergessen, dass mit meinem Fluchtplan und meinem persönlichen Einsatz Yılmaz und sie und die beiden Kinder die Türkei verlassen konnten.

Yılmaz Güney hat seine Filme nicht in kurdischer Sprache gedreht

Güney hat Filme für die Türken und Kurden gemacht. Er hat ihre Lebensbedingungen, ihre Moral und ihre Traditionen ungeschminkt und auch kritisch dargestellt. Niemand konnte das besser als er, weil er die Leute liebte und sie weiterbringen wollte. Er wollte, dass seine Filme im Kino gesehen werden. Auch der meiner Ansicht nach beste türkisch-kurdische Film aller Zeiten, „SÜRÜ“ (Die Herde), der die Geschichte einer kurdischen Großfamilie erzählt, wurde in türkischer Sprache gedreht. Damit kam der Film durch die Zensur und konnte in der Türkei gezeigt und von allen verstanden werden. Die Filme von Yılmaz Güney gehören ins Kino und nicht auf Handys und andere kleine Bildschirme. Das Wichtigste für den größten türkisch-kurdischen Filmschaffenden war die Aufführung seiner Filme in seiner Heimat.

Yılmaz Güney musste seine Heimat verlassen

Bereits bei unserer ersten Begegnung im Jahre 1979 war Yılmaz überzeugt, dass er bald aufgrund einer Amnestie aus dem Gefängnis entlassen würde. Aber im September 1980 putschte das Militär und etablierte eine faschistische Regierung unter Evren. Gegen Yılmaz Güney wurden neue Prozesse angestrengt, weil er in Grußbotschaften an europäische Filmfestivals die kurdische Kultur und die Unterdrückung der Kurden erwähnt hatte. Er verstand nun, dass er nie mehr freikommen würde. Also entschloss er sich, das Gefängnis und sein Land zu verlassen. Auf seinen Wunsch hin habe ich Fluchtpläne für ihn und seine Familie ausgearbeitet. Angeführt von mir haben ein französischer Kapitän, ein deutscher Scout, Yılmaz‘ türkische Vertraute und einige Hilfskräfte ihn während des Opferfestes Bayram 1981 befreit. Für seine Frau und die beiden Kinder hatte ich Einladungen an ein internationales Festival organisiert. Die ganze Aktion war sehr schwierig, weil jeder in der Türkei Yılmaz kannte und weil sich die Türkei mit Griechenland in einem Vorkriegszustand befand. Wir freuten uns, als wir mit unserem Schiff die kleine Bucht südlich von Kemer verlassen hatten. Yılmaz hingegen war traurig, dass er seine geliebte Heimat verlassen musste. – Das erste Schachspiel gegen mich hat er nach dem Sturm auf dem Mittelmeer verloren, was mir danach nie mehr gelungen ist.