Genese der SSO-Methode | *40-Steps-Methode

Mitte der 1970er Jahre, zu den besten Zeiten des Filmkollektivs Zürich, fällten unsere Gründer*innen ihre Entscheidungen für das Produzieren und Verleihen von Filmen rein persönlich und emotional. Sie hatten keine Ahnung, wie sie Drehbücher einschätzen sollten. Erst nach rund 20 produzierten Filmen und etwa 300, die sie in der Schweiz und weltweit ausgewertet hatten, fragten sie sich, warum die meisten ihrer formal und politisch wichtigen Filme Flops waren. Das Gefühl – und auch die ökonomische Notwendigkeit – herauszufinden, was ein Film wirklich ist, wurde immer stärker. Ende der 1980er Jahre traf Donat F. Keusch auf František „Frank“ Daniel – eine entscheidende Begegnung.

Diskreter Drehbuchspezialist

František „Frank“ Daniel sah aus wie Zeus. Er lehrte die Grundlagen des Geschichten- und Drehbuchschreibens sowie die Analyse von Drehbuch und Film. Bis zu seiner Emigration 1968 war er der Leiter des Prager Filminstituts. In den USA wirkte er an der Columbia Universität, dem Amerikanischen Filminstitut, als Dekan an der USC Filmschule und war Vorstandsmitglied der Sundance Foundation. Bis heute halten wir František „Frank“ Daniel für den besten Lehrer für Drehbuchschreiben und Analyse überhaupt.

Frank lehrte die Grundregeln, zeigte dann aber, dass diese Regeln von begrenztem Wert sind. Er lehrte uns, mit Widersprüchen zu leben. Ein Drehbuchautor sollte die Regeln des Drehbuchhandwerks kennen und beherrschen. Und er braucht Talent und Mut, um sie zu brechen, um die Geschichte ganz und so zu erzählen, wie sie es verlangt. Bei genauem Studium wird sie ihn spüren lassen, wo Regeln gebrochen werden können. Nur so kommen wir vom Handwerk zur Kunst.

Abgesehen davon wie man vom Drehbuchhandwerk zur Filmkunst kommen kann, lehrte uns Frank Diskretion. In den 1970er und 1980er Jahren zählte er zu den wichtigsten Filmschaffenden – und verzichtete systematisch auf Nennungen. Warum? Nicht nur weil ungenannte Schreiber*innen oder Berater*innen in der Filmbranche deutlich besser bezahlt werden als genannte. Frank weigerte sich auch, seine Lehren als Buch herauszugeben. Er wollte verhindern, dass sie – wie die meisten anderen Lehrbücher – hirnlos als Rezeptbücher verwendet werden. Und mal ehrlich – würden Sie wollen, dass Ihr „Drehbuch-Psychiater“ mit Ihnen gemeinsam einen Preis abholt?

Akribischer Autor

Anfangs der 1990er Jahre leitete Donat Keusch im Auftrag der Weiterbildungsstiftung focal in Zürich einen Workshop mit Paul Schrader. Im Rahmen dieser Veranstaltungswoche erklärte Paul seine Schreibmethode. Sehr schnell wurde Donat klar, dass Pauls Vorgehen sich bestens als Grundlage für seriöse Drehbuchanalysen geeignet sein könnte. Unser script*service, damals noch unter dem Dach der Cactus Film, hatte zu dieser Zeit bereits viele Drehbücher, die auf dem internationalen Markt auf Geldsuche waren, analysiert. Wir waren auf der Suche nach einem Instrument, um die Objektivität unserer Evaluationen zu verbessern.

Storys und Drehbücher zu TAXI DRIVER, RAGING BULL, AMERICAN GIGOLO, THE LAST TEMPTATION OF CHRIST und einige mehr hatte Paul Schrader mit seiner 40-Steps-Methode entwickelt. Er nannte die Steps „events“ und meinte damit Ereignisse, die den Protagonisten auf seiner Reise dem Hauptziel näherbringen. Ausgehend von den Geschichtenerzählern, die in frühen Zeiten auf Märkten die Zuhörer in den Bann zogen und Reaktionen provozierten, entwickelte er seine einzigartige Schreibmethode.

Wenn Paul eine Idee für eine lange Zeit nicht losließ, dann und nur dann begann er mit der Entwicklung einer Geschichte. Er erzählte verschiedenen Zuhörer*innen die wichtigsten Ereignisse (steps) seiner Geschichte. Die Zuhörer*innen reagierten auf seine Erzählung. Mit den vernünftigen, hilfreichen Reaktionen entwickelte er die nächsten Schritte und so weiter. Normalerweise war seine Geschichte komplett, wenn er etwa 40 Schritte gesammelt hatte. Er verglich seine Herangehensweise mit derjenigen der Geschichtenerzähler auf Märkten in den alten Tagen. Am Ende adaptierte Paul die 40 Events seiner gesamten Geschichte in Szenen seines Drehbuchs.

Heureka!  Objektive De-Dramatisierung

Paul Schraders Schreibmethode inspirierte uns zur Entwicklung eines zusätzlichen Schrittes zur Verbesserung der Objektivität unserer Analysen. Seine Story-Step-Outline mit rund 40 „events“ für Filme von 90 bis 120 Minuten eignete sich hervorragend zur Entdramatisierung von Drehbüchern und zu deren Rückführung auf die Story. Auf diese Weise gewinnen wir eine klare Sicht auf das Geschehen und gleichzeitig die notwendige Distanz, um objektiver über die Qualität des Drehbuches zu urteilen.

In unseren detaillierten, seriösen Drehbuchanalysen gehen wir wie folgt vor:

  1. Wir identifizieren die vorhandenen und die fehlenden Story-Steps.
  2. Wir erarbeiten Fragen und Anmerkungen zu jedem einzelnen Step (insgesamt etwa 120-180).
  3. Wir fertigen die eigentliche Drehbuch-Analyse nach klassischen Kriterien.

Paul Schraders 40-Steps-Schreibmethode ist einzigartig, unsere davon abgeleitete Analyse-Version ebenso. Selbstverständlich besteht ein Drehbuch für einen Film mit Überlänge aus mehr Story-Steps – James Camerons TITANIC hat derer 54 bei einer Filmlänge von fast 3 Stunden. Unsere 3-stufigen detaillierten Analysen gehören dank der Story-Step-Outline (SSO) Methode zu den objektivsten und erfolgversprechendsten in der Filmbranche.

Was ist ein Step | Event? Und warum 40?

Was ist ein Step (event) in einem Drehbuch? Wie soll man*frau einen solchen erkennen? Wie bereits erwähnt, sind Steps die Ereignisse / Geschehnisse / Aktionen, welche den Protagonisten seinem Hauptziel einen Schritt näherbringen. Sie sind nur eruierbar, wenn ein Protagonist vorhanden und wenn sein Hauptziel erkennbar ist. Das gilt auch für die Fälle, wo die Hauptfigur ihr Ziel nicht (z.B. Tragödie) oder nur zum Teil (z.B. Melodrama) erreicht.

Warum gerade um die 40 Steps? Es hat sich gezeigt, dass ein durchschnittliches Publikum beim Anschauen eines 90 bis 120-Minuten-Spielfilms etwa 40 Ereignisse („events“) wahr- und aufnehmen, rezipieren kann. Bei dieser Filmlänge werden weniger als 30 das Publikum unterfordern und frustrieren – zu wenig fürs Eintrittsgeld! – mehr als 50 würde es überfordern. Obwohl Billy Wilder und I.A.L. Diamond nie an „events“ gedacht haben beim Schreiben, sind z.B. SOME LIKE IT HOT oder THE APARTMENT in 40 Steps erzählt.